WENN DAS LEBEN WUNDEN HINTERLÄSST

Ob sich ein Trauma heilen lässt, beschäftigt mich schon lange. Ein Trauma entsteht, wenn Menschen existenziell bedrohlichen (oder als bedrohlich empfundenen) Situationen ausgesetzt werden, die ihre Bewältigungsstrategien und Handlungsmöglichkeiten übersteigen.

Lange Zeit glaubte ich, Traumen seien nicht heilbar. Bis ich während meiner therapeutischen Ausbildung auf die Bücher des amerikanischen Traumatherapeuten Peter Levine stieß. Seine Ideen elektrisierten mich.

In seinem Buch „Traumaheilung – Das Erwachen des Tigers“ beschreibt er, dass frei lebende Tiere in der Regel nicht traumatisiert werden, obwohl sie regelmäßig tödlichen Gefahren ausgesetzt. Ihr Geheimnis sieht Levine darin, dass Tiere ihr überschüssiges Adrenalin, das in einer existenziellen Situation ausgeschüttet wird, regelrecht abschütteln.

Wir Menschen zittern jedoch nicht mehr – oder viel zu selten. Kulturell betrachten wir es als Ausdruck von Schwäche, und so haben wir es uns schlichtweg abgewöhnt. Mit offenbar verheerenden Folgen: die Energien, die unser Körper in Gefahrensituationen freisetzt, können nicht mehr abfließen und bleiben im Körper stecken. Das ist es – so Levine – was Traumen entstehen lässt.

Krise und Durchbruch

Im Herbst 2015 erlebte ich, ausgelöst durch den Verlust einer mir nahestehenden Person, eine tiefe emotionale und spirituelle Krise. Irgendwann stieg meine Spannung so ins Unermessliche, dass ich glaubte zusammenzubrechen. Doch stattdessen begannen meine Zähne zu klappern, und vor lauter Verzweiflung ging ich vors Haus und lief … und lief … und lief.

Aus heutiger Sicht war dies ein Segen. Ein Zusammenbruch, der in einen Durchbruch mündete. Mein Körper fand in diesem Moment den Mut wieder, sich selbst zu heilen. Alles in mir setzte sich wieder in Bewegung. Zurück in den Fluss.

Allerdings war diesem Durchbruch ein jahrelanger Weg der Vorbereitung und „Lockerung“ vorangegangen. Die akute und extrem heftige Krise wurde so zum alles entscheidenden Wendepunkt.

Trauma heilen – eingefrorene Energie lösen

Wie viele Ängste, Traumen und nicht ausagierten Energien in meinem Körper steckten und noch immer stecken, erlebe ich täglich. Denn mein Prozess des Zitterns setzte sich fort. Ja, er breitete sich sogar aus. 

Ich begann, verstärkt den Bewegungsimpulsen meines Körpers zu folgen und fasste immer mehr Mut, mich seiner Weisheit wieder anzuvertrauen. Ein Vertrauen, das mir vor langer Zeit verloren gegangen war. Fast war es, als hätte er all die Jahre nur auf meine Erlaubnis gewartet, endlich … endlich loszulassen.

Bei diesen Experimenten entdeckte ich, dass ich durch Zähneklappern in der Lage bin, blockierte Energien (z.B. Schmerzen) im Körper zu verlagern, zu lösen und auszuleiten. Auf diese Weise war ich in der Lage, stechende Schmerzen in den Nackenwirbeln, die mich für drei Tage fast bewegungsunfähig machten, sanft und endgültig zu lösen.

Trauma heilen durch kontrolliertes Zittern

Ich zittere noch immer, fast jeden Tag. Mein persönlicher Hauptzugangs- bzw. Blockadepunkt ist der Bereich des Kehlchakras, d.h. des Mundes, des Kiefers, der Zunge und der Kehle. Es geht für mich also um Themen wie Selbstausdruck, Kommunikation und Mut zur Wahrheit.

Ich finde es naheliegend, dass sich das Ventil am leichtesten an unserer schwächsten Stelle öffnet, dort, wo der Druck am größten ist und wo wir nicht länger die Kraft haben, den Widerstand (d.h. die Kontrolle) aufrecht zu erhalten. Dass ich nach jahrelangem Zögern jetzt diese Website an den Start schicke und – symbolisch gesprochen – endlich meine Stimme erhebe, ist unmittelbares Ergebnis meines Heilprozesses.

Manchmal setzt das Zähneklappern bei mir spontan ein. Durch kleine körperliche Impulse (z.B. Gähnen oder Bewegungen des Unterkiefers) bin ich aber auch in der Lage, das Zittern selbst auszulösen oder erneut in Gang zu setzen. Alles, was ich danach tue, ist, es geschehen zu lassen.

Ich nenne dies „kontrolliertes Zittern“. Denn ich bin – anders als bei spontan ablaufenden autonomen Körperreaktionen – in der Lage, das Zittern jederzeit zu stoppen.

Seit einiger Zeit experimentiere ich zudem mit den Körperübungen von TRE, einem bioenergetischen Verfahren, das David Berceli entwickelt hat und mit dem ich auch in den Beinen ein Zittern bewirken kann.

Momentan beschränke ich mich im Wesentlichen noch auf Selbstversuche. Mittelfristig möchte ich Zittern jedoch therapeutisch einsetzen. Ein Bekannter, den ich mit TRE in Kontakt brachte, berichtet mir, dass es für ihn neue Türen aufgestoßen habe.

Der Vorteil dieser Methode scheint zu sein, dass Traumen abfließen können, ohne emotional voll reaktiviert zu werden. In mir sind im Laufe dieser Heilungsprozesse einige heftige Bilder und Emotionen aufgestiegen. Insofern geschieht das Abfließen nicht ohne jegliche emotionale Beteilung. Insgesamt ist dies aber ein friedlicher, wenngleich manchmal körperlich anstrengender Prozess.

Mein Wunsch ist es, Wege zu finden, um Menschen zurück ins Zittern und damit in die Selbstheilung zu begleiten. Es gibt bereits einige therapeutische Methoden, in denen Zittern eine heilsame Rolle spielt. Diese Erfahrungen mit meinen eigenen Entdeckungen in Einklang zu bringen, ist mein erklärtes Ziel.

Trauma, Scham und transgenerative Weitergabe

In diesem Zusammenhang befasse ich mich ebenfalls seit langem mit traumatischer Scham und transgenerativer Weitergabe. Transgenerative Weitergabe bedeutet, dass Traumen und Erfahrungen sich über Generationen zu vererben scheinen. Experimente mit Mäuse deuten darauf hin, dass dies nicht nur durch Nachahmung und Erziehung, sondern sogar durch Veränderungen der DNA geschieht.

Die von mir beschriebenen Zitterprozesse halte ich für potenziell geeignet, um solche traumatischen Schäden dauerhaft zu lösen.

Multiple Sklerose und Trauma

Aus mehreren persönlichen Erfahrungen in meinem Umfeld habe ich zudem Gründe anzunehmen, dass Multiple Sklerose (und wahrscheinlich auch zahlreiche weitere chronische Erkrankungen) auf multiplem Trauma beruhen und durch „therapeutisches Zittern“ geheilt oder zumindest gemindert werden könnten. Bestätigt fand ich meine Annahme in einem Artikel, der davon berichtet, dass TRE in Dänemark bereits sehr erfolgreich mit MS-Patienten angewendet wird.

Wörtlich bedeutet Sklerose eine Verhärtung von Organen oder Gewebe. Das finde ich extrem interessant. Denn obwohl MS als entzündliche Autoimmunerkrankung gilt, weist zumindest der Name auf eine vielfache Verhärtung hin. Und Verhärtung ist Mangel an Bewegung und Beweglichkeit, an Energiefluss. Liest man bei Rüdiger Dahlke über MS nach, so findet man dort ebenfalls Hinweise auf Rigidität im Verhalten von Betroffenen.

Hat ein Mensch in seinem Leben zahlreiche traumatische Situationen erlebt, ist ihm die Blockierung von Energien hundertfach widerfahren. Sein ganzer Organismus friert ein. Zuerst einmal, dann immer wieder. Schließlich wird es ihm zur zweiten Natur. Wichtig zu wissen ist, dass diese auf körperlicher Ebene ablaufenden Prozesse vom Reptiliengehirn (einem sehr alten Hirnteil) aktiviert werden und willentlich nicht zu verhindern sind.

Geschieht dies oft genug, manifestieren sich solche Erfahrungen irgendwann körperlich. Was, wenn über ein Leben lang angehäufte multiple Verhärtungen durch simples Zittern abfließen und zur Heilung führen könnten?

Zum anderen deuten Forschungen darauf hin, dass Stress im Körper regelrecht „zündelt“. Ein Trauma ist permanenter, massiver Stress. Ein Zusammenhang zwischen Traumatisierung, Entzündungen des Nervenssystems und Chronifizierung wird für mich immer offensichtlicher.

Hier eine sehr gute Einführung und Live-Demo von TRE (Trauma Release Exercises).
Besonders sehenswert der Bericht eines traumatisierten Soldaten und wie sein Körper wieder in die Balance kam.